Kurzbiografie
Julius von Giesing ist in München geboren und in Giesing aufgewachsen.
Bereits im Alter von 5 Jahren hatte der kleine Julius mit der Band seines Vaters, seinen ersten Gesangsauftritt auf einer Bühne.
Im Alter von 6 Jahren bekam er von einem Lehrer des Richard-Strauss-Konservatoriums, Klavier und Flötenunterricht.
Die Leidenschaft von Julius war schon als Kind die Musik und der Fußball, deswegen spielte er auch schon bald selbst in der Schülermannschaft des FC Bayern München.
Im Alter von 19 Jahren ging er nach seiner Ausbildung als Hotelkaufmann nach Liechtenstein und in die Schweiz, um dort in der gehobenen Gastronomie zu arbeiten. In Vaduz hatte er zu dieser Zeit mit Udo Lattek, dem damaligen Trainer des FC Bayern, sowie der Mannschaft des FC Bayern ein sehr persönliches und bemerkenswertes Erlebnis.
Mit 20 Jahren trat er in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Profi-Musiker.
Kurz darauf gründete er die erste Band und begann eigene Lieder zu schreiben. Bis zum heutigen Tag sind es mittlerweile mehr als 500 Songs, die er für zahlreiche Künstler unter verschiedenen Pseudonymen komponiert und getextet hat.
Am 9. Januar 2023 erscheint mit der FC Bayern-Hymne "FC Bayern" seine Single.
Julius von Giesing
Sänger, Musiker, Liedermacher
Geschichten aus der Kindheit in Giesing
Untergiesing
Schauplatz meiner Kindheit war einer der ältesten Stadtteile im Osten Münchens: Giesing – Giasing, wie der echte Münchner zu sagen pflegt. Genauer gesagt in Untagiasing. Man könnte sagen, ich wuchs in einfachen Verhältnissen auf, aber was heißt schon einfach? So einfach war das nämlich gar nicht für mich.
Mein Vater war ja wie gesagt Musiker, Marke Frauenschwarm und beruflich viel unterwegs mit seiner Band. Meine Mutter war, wie ebenfalls bereits erwähnt, Fotomodell und Mannequin, Marke Männerschwarm und in Sachen Mode auch beruflich viel unterwegs. Wie sollte unter solchen Voraussetzungen eine Ehe auf Dauer gut gehen?
Tja! Leider ging es auch nicht gut, zumindest nicht lange: Bereits nach einem Jahr waren die beiden schon wieder geschieden, und so kam ich, der kleine Julius, zu meinen Großeltern väterlicherseits, und zwar zu Katharina – zur Putzi-Oma, wie ich sie wegen Putzi, ihres damaligen weißen Spitzes nannte – und zu meinem Opa Julius, in ihre kleine, aber urgemütliche Zwei-Zimmer Erdgeschoss-Wohnung in der Krumpterstraße 21 im Münchner Arbeiterviertel Untergiesing. Oma und Opa hatten Gott-sei-Dank wesentlich mehr Zeit für mich als meine Eltern, die ewig in der Weltgeschichte herumreisten.
Meine Oma hatte nicht nur bravourös ihre drei Kinder aufgezogen, sie war auch eine perfekte Hausfrau und eine exzellente Köchin. Außerdem war sie gelernte Schneiderin und nähte nebenbei in der kleinen Wohnung auch noch für die halbe Nachbarschaft. Natürlich auch für jeden in der Familie, bei dem irgendetwas kaputtgegangen war oder der irgendwelche diesbezüglichen Wünsche hatte: Hosenbeine und Ärmel kürzen, Bandsakkos enger nähen, kaputte Reißverschlüsse erneuern – alles kein Problem für die Putzi-Oma. Mein Opa war wegen eines schweren Berufsunfalls, den er als Autoschlosser bei den Münchner Stadtwerken erlitten hatte, schon in Pension. Und aus dem Spruch meines Vaters: „Könnt’s bitte vielleicht mal ein paar Tage auf’n Buam auf passen?“ wurden dann sage und schreibe achtzehn ganze Jahre. So lange lebte ich bei meinen Großeltern.
Obwohl mein Vater oft nicht da war, war er in jeder Hinsicht mein großes Idol, sowohl sportlich als auch musikalisch. Vor allen Dingen aber empfand ich ihn als meinen besten Freund. Dass allerdings alle möglichen Weiber um ihn herumschwirrten wie die Fliegen, störte mich arg, und ich hasste sie alle miteinander, denn meine Mutter war doch eine Superfrau! Bei ihr hätte er bleiben sollen! Das ging mir als Kind immer und immer wieder durch den Kopf.
Die kleine Zweizimmerwohnung meiner Großeltern hatte keine Heizung. So etwas hatte der Durchschnittsbürger damals nicht. In der kleinen Küche stand dafür ein echter Wamsler, also ein Ofen zum Einheizen mit Holz und Kohle, und links daneben stand ein Gasherd. Im Wohnzimmer nebenan gab es einen etwas eleganteren schwarzen Ofen, von dem ein großes, mit silberner Farbe bestrichenes Ofenrohr in die Wand führte. Dieser Ofen wurde allerdings nur immer im Winter mit Kohle oder Briketts beheizt; deswegen war es in diesem Zimmer mindestens neun Monate lang saukalt. Zum Anschüren hackte mein Opa mit einem stets frisch geschärften Beil im Keller Späne, die alle so akkurat gleichmäßig hauchdünn gespalten waren, dass man meinen konnte, sie seien maschinell hergestellt.
Im Haus hatte jede Wohnpartei ein eigenes Kellerabteil. Das meiner Großeltern wurde unter anderem als Vorratskammer für Holzbretter, Kohle, Briketts und Getränke genutzt. Außerdem waren viele der Werkzeuge meines Opas sowie Drähte, Schnüre und andere praktische Dinge dort untergebracht. Es gab kein Licht dort, es war ein düsterer, fast unheimlicher Raum. Im Keller gab es zusätzlich noch zwei FahrradStellplätze und ein gemeinsames Waschhaus mit einer Waschmaschine, für die man spezielle Münzen benötigte.
Das vierstöckige Mietshaus hatte zwei separate Eingänge für je fünfzehn Parteien, einen links, einen rechts, pro Eingang gab es in jedem Stockwerk einschließlich des Erdgeschosses drei Wohnungen. Vier solcher Doppelhaus-Blocks mit also je dreißig Wohnungen, standen hintereinander, dazwischen waren jeweils eine Wiese mit ein paar Bäumen, ein Sandkasten zum Spielen so wie ein Platz zum Wäschetrocknen mit mehreren Metall-Wäschestangen hintereinander angelegt. Ganz oben im Haus, also über dem vierten Stock, ging es über eine versperrte Tür zu einem gemeinsamen Dachboden, in dem jede der Mietparteien zusätzlich einen kleinen separaten Speicherraum hatte. Dort oben stand alles Mögliche herum, unter anderem auch eine handgeschnitzte Holzburg, die mein Opa irgendwann mal für seine Buben selbst gefertigt hatte und die ich heute noch besitze. Für mich war der Eintritt sowohl in den Keller als auch in den Dachbodenspeicher immer ein kleines Abenteuer, zu dem sich stets ängstliches Herzklopfen gesellte, denn natürlich hatte ich als kleines Kind mit großer Fantasie immer ein bisschen Angst, in die düsteren, schummrigen Gewölbe hineinzugehen. Man brauchte schon eine Taschenlampe, um dort überhaupt etwas zu sehen bzw. finden zu können, denn Licht gab es zwar im Vorraum, aber nicht in den jeweiligen Abteilen.
Meine beiden besten Freunde Toni Urban und Peter Huber wohnten gleich in den Nachbarhäusern, Peter im Haus direkt hinter unserem und Toni schräg gegenüber in der sogenannten „Postlersiedlung“, die so hieß, weil dort überwiegend Beamte wohnten.
Zurück zu unserer Wohnung: Im winzigen Badezimmer gab es einen großen weißen Wasserboiler, eine Badewanne, ein WC und ein kleines Handwaschbecken, aus dem natürlich nur kaltes Was ser kam. Wenn man einmal in der Woche baden wollte – meistens am Freitag –, „durfte“ man erst mal den Boiler mit Kohle oder Briketts beheizen. Einen weiteren Ofen oder eine Heizung gab es nicht. Das Bad war in Apfelgrün gestrichen und im Winter war es dort so was von saukalt – da warst du ruckzuck wach, wenn du in der Früh barfuß zum Bieseln gingst und vergessen hattest, die Hausschuhe anzuziehen, und musstest echt aufpassen, dass dir die Füße nicht am schwarzen Linoleum anfroren. Holey Moley, war das kalt!
Im Schlafzimmer wurde natürlich generell nicht eingeheizt, denn da existierte überhaupt nichts zum Heizen. Zum Wärmen im Winter gab’s lediglich eine extra Wolldecke.
Aber ich fühlte mich von Anfang an sauwohl bei meinen Großeltern, und ich wurde so liebevoll aufgezogen wie ein Nachzögling, also wie ihr eigenes viertes Kind. So wurde bald aus der Putzi-Oma die Mama und aus Opa bald der Papa, was die Liebe zu meinen Eltern übrigens in keiner Weise schmälerte. Meine Mutter nannte ich Iris-Mama und mein Vater war eben der Juli-Papa.
Wenn ich mal nicht zur Schule musste – am Wochenende, wenn Ferien waren oder wenn ich krank war – dann liebte ich es, es mir hinter dem Esstisch auf der kleinen Küchenbank gemütlich zu machen und der „Mama“ beim Kochen zuzuschauen. Dabei bekam ich aber auch immer mächtig Appetit, denn die Düfte, die aus den Töpfen hochstiegen, waren phänomenal, und einen guten Appetit hatte ich immer schon. Dabei hatte ich meist aus der Bank meine Spielsachen herausgeholt, die unter der aufklappbaren Sitzfläche in Kisten untergebracht waren.
Meine Oma war eine wirklich fantastische Köchin und oft gab es meine Leibspeisen wie Reiberdatschi, Zwetschgenknödel, Bauchstecherl, Rinderbraten mit selbst gemachten breiten Nudeln oder ihren berühmten Schweinsbraten mit selbst gemachten Kartoffelknödeln. Mmmhh! Weitere Favoriten waren auch Dampfnudeln mit warmer Vanillesauce, Rohrnudeln und und und ...
Ach ja! Da könnt’ ich gar nicht mehr aufhören mit dem Aufzählen! Sie kochte so unglaublich gut, dass einfach alles unvergleichlich lecker schmeckte. Der unwiderstehliche Duft nach in Butter angerösteten Zwetschgenknödeln oder selbstgemachten Reiberdatschi, zu denen es frisch gekochtes Sauerkraut und a ’kocht’s Wammerl gab, zog einem oft schon an der Eingangstür in die Nase. Dieser Duft leitete mich dann umgehend an den Esstisch, wo meist „Papa“ – also mein Opa – schon an der Stirnseite saß.
An Heilig Abend war Papa schon immer am Vormittag im verschlossenen Wohnzimmer mit dem Putzen des Christbaumes zugange, was ich natürlich nicht wusste und auch nicht wissen durfte. Bevor es so gegen neunzehn Uhr mit der Bescherung losging, holte mich meist IrisMama am frühen Nachmittag ab, falls sie gerade mal im Lande war und nicht auf irgendwelchen Laufstegen irgendwo in der Welt Haute Couture präsentierte.
Zuerst ging es meist in ihre Wohnung bzw. in das Haus, in dem sie gerade lebte. Meine Mutter wechselte nämlich ihr Zuhause wie andere Leute ihre Unterwäsche. Sie war wirklich unermüdlich dabei, sich immer wieder ein neues Wohnrefugium zu schaffen. Diese Eigenschaft sollte sie übrigens ihr ganzes Leben behalten; die Anzahl ihrer Wohnsitze dürfte guinnessbuchrekordverdächtig sein. Allein in München und Umgebung kann ich mich bestimmt an über zehn verschiedene Wohnungen oder Häuser meiner Mutter erinnern. Ich glaube, sie war eine Nomadin.
Doch wo immer gerade ihr Zuhause war, waren alle Räume mit einzigartigem Geschmacksinn für alles Schöne und Edle eingerichtet und dekoriert, der sich vom Null-Acht-Fünfzehn-Geschmack der meisten Leute, die ich kannte, deutlich abhob. Auch diese Gabe behielt sie ein Leben lang.
Wunderschöne eingepackte Päckchen lagen dann später unter einem immer mit sehr viel Eleganz und Pomp geschmückten Christbaum, und nach der Bescherung ging’s dann am Nachmittag zu den Eltern meiner Mutter, also zu meinen anderen Großeltern. Die lebten ebenfalls in einem großen Mehrfamilien-Wohnhaus, wie schon gesagt im Norden Münchens. Die Fahrt mit dem Auto von meinen Großeltern in Giesing zu den anderen Großeltern in die Alte Heide dauerte meist eine gute halbe Stunde, damals gab’s ja noch nicht so viel Verkehr.
Ehrlich gesagt, bin ich nie besonders gern dort hingefahren, denn das Haus und die ganze Gegend mochte ich überhaupt nicht. Ich kann mich noch recht gut an den penetranten Bohnerwachs-Geruch im stets halbdunklen Treppenhaus erinnern. Ich weiß noch, es waren unzählige flache, dunkelbraune Holzstufen, die bei jedem Tritt lautstark knarrend durchs riesige Treppenhaus hallten und mir stets das „kuschelige“ Gefühl eines Hitchcock-Klassikers vermittelten.
Der Vater meiner Mutter, also mein anderer Opa, Eugen Stöckl, Gott hab‘ ihn selig, war ein strenger, unerbittlicher Pedant. Ein Beamter mit Prinzipien und noch dazu ein echter Choleriker, wie ich öfters ganz speziell am Heiligen Abend miterleben „durfte“ – zum Beispiel, wenn er sich über eine nicht passende Strickjacke als Weihnachtsgeschenk meiner Mutter mit hochrotem Gesicht so aufregte, dass man das Gefühl hatte, gleich würde sein Kopf wie bei einem Teekocher zu pfeifen beginnen und sein siedendes Hirnkastl explodieren.
Apropos Choleriker: Da gab’s noch einen „Spezialisten“ in unserer Familie, im Stammbaum allerdings ein bisschen weiter zurück angesiedelt und aus der väterlichen Linie. Die Schwester meines Opas hieß Tilde, und auch sie war mit einem Eugen verheiratet. Ich kann mich an ihn überhaupt nicht mehr erinnern, aber den Erzählungen nach dürfte er wirklich ein ganz besonders „liebevoller“ Zeitgenosse gewesen sein. Als ihm nämlich meine Großtante eines Tages ein für seinen Geschmack zu zähes Schnitzel vorsetzte, ging er in den Keller, holte einen Hammer und ein paar Nägel und nagelte den „Bröselteppich“ gut sichtbar für alle im Wohnzimmer mitten an die Wand. Wenn ich so nachdenke: „Eugentlich“ eine recht witzige Deko-Idee!
Zurück zum anderen Eugen und zurück zum Heiligen Abend bei meinen Großeltern mütterlicherseits: Irgendeinen entsetzlichen, alten, gebrauchten Plunder aus dem Inventar ihres Wohnungs-Panoptikums durfte ich am Weihnachtsabend meist als „großzügiges“ Weihnachtsgeschenk mit nach Hause nehmen – Dinge, die die Welt nicht braucht, und ich als Kind damals schon zweimal nicht. Wenn’s wenigstens ein Fußball, ein Fotoapparat, oder zumindest ein Fix und Foxi-Heft gewesen wäre (Anmerkung für jüngere Leser: Fix und Foxi-Hefte waren die gängigsten Comics der Sechziger und Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland, noch vor Micky Maus und Donald Duck, wir lernten damals Lesen mit ihnen). Aber nein! Nix da! Meist waren es uralte Atlanten, in der die Erde wahrscheinlich noch als Scheibe dargestellt war, oder abgegriffene Lexika und andere Bücher, die mich ungefähr so sehr interessierten wie einen Veganer ein Kochbuch mit Schweinsbraten-Rezepten, das man ihm schenkt,
damit er lernt, wie man a krachade Krust’n hinbekommt. Jeder Flohmarkt-Verkäufer auf der Auer Dult hätte sich bestimmt über diese Werke gefreut, denn damit hätte er wunderbar das Wackeln seines Verkaufstisches ausgleichen können.
Die Mutter meiner Mutter – die Stöckl-Oma – trug eine ganz dunkle Brille mit stark getönten Gläsern in ihrer halbdunklen Wohnung. Die Brillengläser mussten unglaublich stark gewesen sein, denn sie erinnerten mich irgendwie an zwei Bullaugen. Diese Brille hatte echt etwas Unheimliches und trug auch nicht gerade dazu bei, dass ich mich in diesen vier Wänden wohler fühlte ... Kurz und gut, ich „liebte“ also diese Besuche bei meinen Großeltern zur Weihnachtszeit „sehr“. Na ja. So oft war ich ja nicht bei ihnen. Halt an Weihnachten und dann ... wohl erst wieder nächstes Weihnachten.
Für mich gab’s wirklich nichts Schöneres, als aus den Klauen dieses Hauses in der Alten Heide wieder herauszukommen, indem ich zunächst vom ersten Stock seitlich sitzend auf dem dunkelbraunen, stets gut eingewachsten Holztreppengeländer ins Erdgeschoss herunterrutschte und wir dann endlich schnellst möglich wieder nach Giasing heimfahren konnten. Erst dort kam für mich dann die richtige Weihnachtsstimmung auf, wenn wir am frühen Abend dort angekommen waren und ich endlich mit den Geschenken spielen durfte, die ich nach der heimatlichen Bescherung erst mal hatte liegenlassen müssen, um in den „feindlichen Norden“ zu fahren.
Untergiesing liegt ja logischerweise unten, wie der Name schon sagt, und auch unterhalb des berühmten Fußballstadions an der Grünwalderstraße, auch bekannt als „Sechzgerstadion“. Wie Viele vielleicht wissen, ist in Giesing auch die Lichtgestalt schlechthin groß geworden. Ja! Unser „Kaiser“ Franz Beckenbauer! Genau wie für dieses mein Kindheits-Idol war Fußballspielen eine meiner Leidenschaften. Sobald die Schulglocke läutete und der Unterricht zu Ende war, lief ich im Eiltempo von der nahegelegenen Agilolfinger-Volksschule nach Hause, um mich erst mal mit Omas Köstlichkeiten aus der Küche zu stärken und danach in Windeseile mit meiner geliebten Lederkugel abdüsen zu können, und zwar zur zehn Minuten entfernten Birkenwiese ganz in der Nähe der Isarauen, um dort mit Freunden dem Ball nachjagen zu können.
In den Isarauen war ich aber auch oft auf einem meiner Lieblingsbäume als „bayerischer Winnetou“ mit Kunstoff-Silberbüchse – die meine „Eltern“ mir in meinem Lieblings-Spielzeugladen in der Pilgersheimerstraße gekauft hatten – anzutreffen. Der zur Vervollkommnung des Bildes unabdingbare Indianer-Federschmuck wurde mir später leider auch mal zum Verhängnis, als ich nämlich im Fasching als Winnetou verkleidet mit meinem Tretroller – heute würde man Scooter sagen – auf dem Gehsteig um die Häuser fetzte. Durch die Federn übersah ich leider, dass gerade ein Auto rückwärts aus einer Garage herausfuhr, und ich flog mit dem Kopf voraus in das Auto. Danach stand ich unter Schock, ließ den Roller am Boden liegen und lief stark blutend zu meiner Oma zurück. Kurz darauf wurde ich vom Krankenwagen abgeholt und ins Krankenhaus gebracht. Ich musste sofort operiert werden, denn ich hatte einen schwierigen Schädelbruch, und ein Stahlsplitter steckte in meinem Schädel. Wie ich später erfuhr, hatte ich riesengroßes Glück im Unglück gehabt: Nur wenige Millimeter von meinem Gehirn entfernt war der Stahlsplitter steckengeblieben. So ging der Unfall noch einigermaßen glimpflich aus. Nur eine gut sichtbare Delle in meinem Kopf sollte mich ab diesem Tag lebenslang begleiten.
Giasing. Dieser charmante Stadtteil, der auch den unrühmlichen Titel „Glasscherbenviertel“ innehatte, war der Inbegriff eines liebenswerten Arbeiterviertels mit hohem Freizeitwert dank der nah vorbeifließenden grünen Isar mit den wunderbaren Isarauen.
Zur damaligen Zeit gab es links und rechts der Isar noch eine völlig wilde Vegetation, und der schmale Weg durch dieses Unter holz lud zu abenteuerlichen Fahrradtouren ein. Dieses Isar-Outback war auch ein beliebter Treffpunkt für Liebespaare zu jeder Tages und Nachtzeit, was für uns Jungs natürlich eine ziemlich spannende Sache war – wir kannten durchaus den einen oder anderen günstigen Beobachtungsposten. Außerdem konnte ich mit dem Radl in wenigen Minuten beim Tierpark Hellabrunn, im Flaucher Biergarten, auf der Schinderbrücke oder am Hinterbrühler See sein – all das begehrte Ziele.
Ich hatte also wirklich eine grandiose Kindheit in Sachen Freiheit und Abenteuer – heutzutage kaum mehr vorstellbar in einer Großstadt wie München. Auch von Seiten meiner Großeltern fehlte es mir an so gut wie nichts; allerdings ging es in ihrer klitzekleinen Zweizimmerwohnung manchmal zu wie seinerzeit im Hippodrom auf dem Oktoberfest. Wenn nämlich der Putzi – seines Zeichens Spitz und rassetypisch mit einem gewaltigen Stimmvolumen ausgestattet – minutenlang vor sich hinbellte, weil jemand an der Tür geläutet hatte, und gleichzeitig das wegen der Schwerhörigkeit meines Opas extrem laut eingestellte Telefon – bei dessen Klingeln man ohnehin immer zusammenzuckte – minutenlang läutete. Manchmal kam dann passenderweise gerade mein Vater zu Besuch, hektisch, wie immer unter Zeitdruck, und oft in Begleitung einer seiner neuesten weiblichen Eroberungen, um mit der großartigen bayerischen Kochkunst seiner Mama angeben zu können. Hinzu kam auch noch, dass die „Mama“ extrem laut mit jedem sprach, da Opa ja seit Jahren schwerhörig war, aber meist keine Batterien in seinem Hörgerät hatte. Dies wiederum war der Grund, weshalb der Fernseher im Wohnzimmer – der oft auch noch mit dem Radiogerät in der Küche um die Wette lief – genauso laut war wie mein Opa, wenn er gerade vor Wut explodierte, weil zum Beispiel genau in jenem Moment, in dem Gerd Müller sich anschickte, für die Bayern ein Tor zu schießen, meine Oma mit dem Staubsauber vor seiner Nase herumfuhrwerkte.